Mit zunehmender Ausrichtung von Lehr- und Bildungsplänen auf sogenannte Schülerkompetenzen werden vermehrt auch neue Wege der Unterrichtsgestaltung diskutiert. Die Metaanalyse »Effects of teaching strategies on student achievement in science in the United States« von Schroeder und KollegInnen (2007) fasst den Forschungsstand für naturwissenschaftliche Fächer zusammen und klärt, wie wirksam verschiedene alternative Unterrichtsansätze die Leistung von SchülerInnen fördern.
Metaanalyse im Überblick
Fokus der Studie: Lernwirksamkeit alternativer Unterrichtsansätze im naturwissenschaftlichen Unterricht
Zielgruppe: Überwiegend Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe
Durchschnittliche Effektstärke: Mittlerer positiver Effekt zugunsten von alternativen Unterrichtsansätzen (d = 0.67) im Vergleich zu lehrerzentriertem Unterricht
Weitere Befunde: Größte Effekte erzielen kontextbasierte Strategien und kollaborative Unterrichtsansätze. Weitere Ansätze wie Fragestrategien oder Forschendes Lernen erweisen sich ebenfalls als effektiv
Einleitung
Mit der Einführung von Bildungsstandards und großen Ländervergleichsstudien (PISA, TIMMS) haben sich in den vergangenen Jahren auch die Anforderungen an naturwissenschaftlichen Unterricht gewandelt. SchülerInnen sollen nun bestimmte Kompetenzen (etwa in der Formulierung naturwissenschaftlicher Fragestellungen) erlangen, die als Ausdruck einer allgemeinen naturwissenschaflichen Grundbildung (engl.: scientific literacy) gelten.
Um SchülerInnen dabei zu unterstützen, diese Kompetenzen zu erwerben, steht Lehrkräften ein vielfältiges Arsenal an konkreten Unterrichtsansätzen zur Verfügung. Es ermöglicht ihnen, innerhalb einer Unterrichtsstunde oder einer Unterrichtseinheit zwischen verschiedenen Ansätzen zu wählen oder sie miteinander zu kombinieren.
Doch welche Ansätze gelten wissenschaftlich gesehen als effektiv? Die internationale empirische Unterrichtsforschung befasst sich zunehmend mit Gestaltungsalternativen zum lehrerzentrierten Unterricht und trägt dahingehend Befunde zusammen. Die vorliegende Metaanalyse integriert diese Untersuchungen und zeigt wirksame Unterrichtsansätze auf.
Worum geht es in dieser Studie?
Die Metaanalyse von Schroeder und KollegInnen (2007) ermittelt, wie effektiv alternative Unterrichtsansätze in den naturwissenschaftlichen Fächern (Biologie, Chemie, Physik, Geographie und allgemeine Naturwissenschaften) sind. Auf Grundlage des bisherigen Forschungsstands klassifizieren die AutorInnen die verschiedenen alternativen Unterrichtsansätze wie folgt:
- Fragestrategien. Gezielter und adaptiver Einsatz von Fragetechniken im Unterricht, mit deren Hilfe zum Beispiel die Wartezeiten für Antworten bewusst ausgedehnt, Fragen zu bestimmten Schlüsselmomenten in Lehrvideos eingesetzt oder die Schwierigkeitsgrade von Fragen bewusst variiert werden
- Hands-on-Strategien. Einsatz praktischer Arbeits- und Übungseinheiten, wie etwa die Verwendung bestimmter Laborinstrumente (z.B. Mikroskope)
- Optimierte Arbeitsmaterialien. Arbeitsmaterialien, die Lehrkräfte auf der Basis von Unterrichtsversuchen gezielt weiterentwickelt und adaptiert haben
- Adaptive Teststrategien. Bewusste Variationen in der Häufigkeit, Zielsetzung, Form und Schwierigkeit von Prüfungs- und Testsituationen
- Forschendes Lernen. Unterricht, bei dem SchülerInnen, von naturwissenschaftlichen Fragestellungen ausgehend, Daten sammeln, auswerten und interpretieren
- Kontextbasierte Strategien. Unterrichtsansätze, die bewusst an spezifische (außerschulische) Kontexte und damit an die Lebenswelt, die Interessen und das Vorwissen der SchülerInnen anknüpfen
- Computergestützte Unterrichtsstrategien. Einsatz von Computern und digitalen Medien, wie Simulationen oder Lehrvideos, in der Unterrichtsgestaltung
- Kollaborative Unterrichtsansätze. Arbeiten in flexiblen Gruppen an gemeinsamen Aufgaben
Da im Unterricht häufig verschiedene Strategien oder Ansätze eingesetzt und kombiniert werden, klassifizieren die AutorInnen die Ansätze jeweils nach der im Unterricht vorherrschenden Strategie. Neben der Frage nach der Effektivität verschiedener Unterrichtsansätze untersucht die Metaanalyse auch weitere Faktoren, sogenannte Moderatoren (wie Jahrgangsstufe oder Dauer der Intervention), die die Effektivität der Ansätze potenziell beeinflussen.
In die Metaanalyse fließen Befunde aus 61 Primärstudien ein, die zwischen 1980 und 2004 vorwiegend in Fachzeitschriften und Dissertationen veröffentlicht wurden. Zur Bestimmung der Effektivität berücksichtigt die Metaanalyse vor allem quasi-experimentelle Studiendesigns und wenige experimentelle Studien (3 Studien). Die Primärstudien fanden im naturwissenschaftlichen Unterricht, hauptsächlich im Sekundarbereich (Jahrgangsstufe 1-8: 16 Studien; Jahrgangsstufe 9-12: 45 Studien) und ausschließlich an US-amerikanischen Schulen statt.
Die Lernleistung der SchülerInnen wurde größtenteils durch Leistungstests (76 %) erfasst, die speziell für den Zweck der jeweiligen Studie von Lehrkräften oder WissenschaftlerInnen entwickelt wurden. Die übrigen Studien nutzten standardisierte Testverfahren (24 %). In der Regel wurden die jeweiligen Ansätze kontinuierlich über mehrere Wochen oder Monate im Unterricht eingesetzt.
Was findet diese Studie heraus?
Die Ergebnisse der Metaanalyse sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Sie zeigen, dass SchülerInnen, die im Rahmen von alternativen Unterrichtsansätzen unterrichtet werden, signifikant bessere Lernleistungen erzielen als SchülerInnen in der Vergleichsbedingung (d = 0.67, mittlere Effektstärke). Besonders große Lernerfolge berichten Studien, die sich mit kontextbasierten Strategien befasst haben (d = 1.48, große Effektstärke).
Ferner erweisen sich kollaborative Unterrichtsansätze, bei denen SchülerInnen in Kleingruppen an naturwissenschaftlichen Fragestellungen arbeiten, als besonders effektiv (d = 0.96, große Effektstärke). Für eine zuverlässige Aussage zur Effektivität von Kollaborativem Lernen ist die Anzahl der eingegangenen Studien gerade bei diesem Ansatz allerdings sehr gering (3 Studien). Eine umfangreichere und aktuellere Metaanalyse untersucht diesen Ansatz detailliert (siehe Kurzreview 4).
Tabelle 1. Durchschnittliche Effektstärken der verschiedenen Unterrichtsansätze.
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Wie bewertet das Clearing House Unterricht diese Studie?
Die Clearing House Unterricht Research Group bewertet die Metaanalyse anhand der folgenden fünf Fragen und orientiert sich dabei an den Abelson-Kriterien (1995):
Wie substanziell sind die Effekte?
Die berichteten Effektstärken liegen im Sinne der üblichen Einteilung nach Cohen (1988) alle im mittleren bis großen Bereich. SchülerInnen profitieren demnach deutlich, wenn sie mit alternativen Ansätzen unterrichtet werden.
Dieser Befund wird auch von neueren Metaanalysen zur Effektivität alternativer Ansätze bestätigt (siehe Kurzreview 12). Einzelne Ansätze wie beispielsweise kontextbasierte Strategien (d = 1.48) zeigen eine noch höhere Effektivität. Dieser Wert bedeutet, dass 85 % der SchülerInnen, die unter Einsatz von kontextbasierten Strategien unterrichtet werden, bessere Leistungen erzielen als der Durchschnitt der SchülerInnen in der Vergleichsbedingung.
Allerdings ergibt sich im Hinblick auf die Interpretation der Effektstärken eine wesentliche Einschränkung: Obwohl in den Primärstudien sehr unterschiedliche Studiendesigns mit unterschiedlichen Vergleichsbedingungen gemessen wurden – einige Studien ermitteln die Effektstärken lediglich mit einem Prä-Post-Vergleich und nicht etwa mittels Kontrollgruppe –, wird die Art der jeweiligen Vergleichsbedingung in der Metaanalyse nicht separat erfasst und analysiert. Die sogenannten Moderatoranalysen zeigen jedoch, dass ebensolche methodischen Faktoren bedeutsam sind, um die Ergebnisse bei den Effektstärken angemessen beurteilen zu können. Da aus der Metaanalyse nicht hervorgeht, welche Vergleichsbedingung zur Berechnung eines Effekts jeweils herangezogen wurde, fehlen entscheidende Informationen, die für die Auswertung und Interpretation der Ergebnisse notwendig sind. Um fundierte Aussagen zu treffen, müssen diese Informationen daher aus den Primärstudien selbst (siehe Studienbeispiel) entnommen werden.
Wie differenziert sind die Ergebnisse dargestellt?
Die Differenziertheit der berichteten Effekte bemisst sich anhand der Schulfächer, Jahrgangsstufen und anhand des Erfolgskriteriums. Sie ist insofern gegeben, als die vorliegende Metaanalyse jeweils gesonderte Effekte für verschiedene MINT-Schulfächer sowie für verschiedene Altersstufen berichtet. Als Erfolgskriterium wird ausschließlich die Schülerleistung berücksichtigt, die jedoch mit verschiedenen Messverfahren differenziert erfasst ist.
Wie verallgemeinerbar sind die Befunde?
Die AutorInnen der Metaanalyse überprüfen mithilfe einer sogenannten Metaregressionsanalyse, inwiefern sich die Unterschiede (Varianzen) in den Effektstärken der Primärstudien durch verschiedene Studiencharakteristika erklären lassen. Hier zeigt sich, dass weder die Jahrgangsstufe, das Schulfach, die Dauer der Intervention noch die Art des Unterrichtsansatzes signifikant zur Erklärung dieser Unterschiede beitragen. Das bedeutet, dass der Gesamteffekt für diese Bereiche verallgemeinerbar ist.
Im Sinne der Effektivität ist es weniger entscheidend, welchen Ansatz Lehrpersonen wählen, sondern vielmehr, dass sie einen alternativen Ansatz zum lehrerzentrierten Unterricht wählen. Dagegen tragen methodische Faktoren wie Studiendesign, die Art der Veröffentlichung und das eingesetzte Messverfahren signifikant zur Erklärung der Effektstärkenvarianz bei. Das heißt, dass jeweils kleinere Effekte bei Primärstudien mit folgenden Eigenschaften gefunden wurden: randomisierte/stärker kontrollierte Studiendesigns, standardisierte Messverfahren und Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften mit Peer-review-Verfahren.
Darüber hinaus bleibt offen, ob die Effekte auch auf andere Länder und Schulsysteme übertragbar sind, da alle Primärstudien aus den USA stammen. Zudem ist ungefähr die Hälfte der Primärstudien vor dem Jahr 2000 erschienen, der übrige Teil vor dem Jahr 2005. Aktuellere Befunde im Hinblick auf alternative Unterrichtsansätze berücksichtigt die Metaanalyse von Savelsbergh und KollegInnen (2016, siehe Kurzreview 12).
Was macht die Metaanalyse wissenschaftlich relevant?
Diese Metaanalyse ist die erste in diesem Forschungsbereich, die verschiedene alternative Unterrichtsstrategien gleichzeitig untersucht. Bisherige Studien haben sich exklusiv mit der Wirksamkeit eines spezifischen Unterrichtsansatzes auseinandergesetzt. Außerdem identifiziert die Analyse insbesondere methodische Faktoren (z.B. das Studiendesign), die die Untersuchungsergebnisse beeinflussen. Diese Faktoren sollten deshalb künftig in der Konzeption und Bewertung von Primärstudien und Befunden vermehrt berücksichtigt werden. Aus diesen Gründen ist die Metaanalyse wissenschaftlich sehr bedeutsam und wird wohl deshalb in Forschungsarbeiten zur Unterrichtseffektivität gerne zitiert.
Wie methodisch verlässlich sind die Befunde?
Die Art und Weise, wie das methodische Vorgehen offengelegt und begründet wird, entspricht teilweise den Kriterien gängiger Anforderungskataloge (z.B. APA Meta-Analysis Reporting Standards): Die Literaturrecherche und die statistischen Analysen der Metaanalyse sind weitgehend nachvollziehbar beschrieben. Andere Bereiche – insbesondere die Auswahl und Art, wie die eingegangenen Primärstudien kodiert wurden – sind in dem Artikel nicht nachvollziehbar dargelegt.
Weitere Informationen zu den Beurteilungskriterien finden Sie in unserem Rating Sheet.
Fazit für die Unterrichtspraxis
In der Praxis überwiegen nach wie vor lehrerzentrierte Unterrichtsansätze, bei denen SchülerInnen wenig aktiv in den Unterricht einbezogen werden. Die Metaanalyse zeigt eindeutig, dass es sich lohnt, alternative Ansätze deutlich stärker in die Unterrichtsgestaltung einzubinden. Zudem kann man annehmen, dass in einzelnen Ansätzen noch erheblich mehr Potenzial steckt, wenn man die hohen Effektstärken beispielsweise bei kontextbasieren Ansätzen betrachtet. Allerdings ist dieser Befund aufgrund der geringen Zahl an eingegangenen Studien und der ungenauen Angaben zur Vergleichsbedingung nicht besonders gut abgesichert und damit als vorläufiger Trend zu werten.
Naturgemäß kann diese Metaanalyse nur bedingt Antwort darauf geben, wie dieser Unterricht konkret aussehen kann und worauf es bei der jeweiligen Umsetzung der Unterrichtsstrategien ankommt. Hier hilft ein Blick in eine der Primärstudien (siehe Studienbeispiel), die das Prinzip des kontextbasierten Unterrichts veranschaulicht. Weitere Hinweise darauf, wie ein bestimmter Ansatz (z.B. Forschendes Lernen) effektiv eingesetzt werden kann, liefert unter anderem die Metaanalyse von Lazonder und Harmsen (2016, siehe Kurzreview 5).
Studienbeispiel
Besonders große Effekte (d ≥ 1.9) beim Einsatz von kontextbasierten Strategien berichtet die Studie von Fortus und KollegInnen (2004). Über mehrere Unterrichtseinheiten hinweg arbeiteten hier SchülerInnen an verschiedenen realitätsnahen Problemstellungen. Sie erhielten unter anderem die Anweisung, ein Haus, das extremen Umweltbedingungen standhalten soll, zu entwickeln und ein entsprechendes Modell zu basteln.
In mehreren Lernzyklen konnten sie sich das notwendige Hintergrundwissen (zu Statik, Wärmeisolation etc.) aneignen und das Modell daraufhin optimieren. Die Lehrkraft stand dabei beratend zur Seite. Um den Lernerfolg zu bestimmen, bearbeiteten die SchülerInnnen vor und nach der gesamten Unterrichtseinheit einen Wissenstest zu den entsprechenden naturwissenschaftlichen Inhalten. Außerdem wurden die Fortschritte, die die Schüler beim Entwickeln der Modellhäuser machten, analysiert und bewertet.