Für die allermeisten SchülerInnen gehören Hausaufgaben ganz selbstverständlich zum Schulalltag. Allerdings wird ihr Nutzen seit Jahrzehnten fächerübergreifend kontrovers diskutiert. Die Metaanalyse »Homework and students’ achievement in math and science: A 30 year meta-analysis, 1986-2015« von Fan, Xu, Cai, He & Fan (2016) trägt erstmals weltweite Befunde von Studien zum Zusammenhang von Hausaufgaben und Schülerleistungen in Mathematik und Naturwissenschaften zusammen und untersucht, welche Faktoren diesen Zusammenhang beeinflussen.
Metaanalyse im Überblick
Fokus der Studie: Zusammenhang zwischen Hausaufgaben und Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften
Zielgruppe: 312.866 Schülerinnen der Primar- und Sekundarstufe aus Europa, Asien und den USA
Durchschnittliche Effektstärke: Kleiner positiver Zusammenhang zwischen Hausaufgaben und Leistungen in Mathematik (r = 0.20) und Naturwissenschaften (r = 0.26)
Weitere Befunde: Inhaltliche Qualität der Hausaufgaben (r = 0.52) entscheidender für Leistungen als aufgewendete Bearbeitungszeit oder Häufigkeit von Hausaufgaben
Einleitung
Hausaufgaben sind ein fester Bestandteil des schulischen Alltags, da in der Regel angenommen wird, dass sie hilfreich sind, um Unterrichtsstoff durch Wiederholung und Übung zu verfestigen. Auf diese Weise – so die Annahme – lässt sich der Lernerfolg der SchülerInnen steigern. Wie sich Hausaufgaben in der Praxis tatsächlich auswirken, wird seit Jahrzehnten intensiv beforscht. Bisherige Befunde zum Einfluss von Hausaufgaben auf Schülerleistungen sind allerdings nicht eindeutig. Teilweise werden große Zusammenhänge, teilweise aber auch keine oder sogar negative Zusammenhänge berichtet.
Die vorliegende Metaanalyse sucht Erklärungen für diese widersprüchliche Befundlage. Eine mögliche Erklärung ist, dass vorangegangene Forschungssynthesen den Nutzen von Hausaufgaben fächerübergreifend untersuchen, dieser aber möglicherweise je nach Fach verschieden ist. Daher fokussieren sich die AutorInnen dieser Metaanalyse erstmals auf die Fächer Mathematik und Naturwissenschaften. Dabei berücksichtigen sie eine Reihe an weiteren möglichen Einflussfaktoren, wie bestimmte Merkmale von Hausaufgaben (z.B. wie gut sie erledigt wurden) und Rahmenbedingungen (z.B. Alter der SchülerInnen), die Hinweise darauf geben könnten, welche Faktoren den Zusammenhang zwischen Schülerleistungen und Hausaufgaben beeinflussen.
Worum geht es in dieser Studie?
Fan und KollegInnen wollen herausfinden, inwiefern Hausaufgaben mit Schülerleistungen in Mathematik und Naturwissenschaften zusammenhängen und welche Faktoren diesen Zusammenhang beeinflussen. Für ihre Metaanalyse berücksichtigen die AutorInnen englischsprachige Publikationen aus der ganzen Welt. Sie wählen aber nur Studien aus, in denen sich die Hausaufgaben explizit auf Mathematik und Naturwissenschaften beziehen und der Effekt von Hausaufgaben auf die Leistung klar von anderen Effekten – wie Nachhilfe – zu trennen ist. Insgesamt liegen der Metaanalyse 28 Publikationen zugrunde, die in Zeitschriften mit Begutachtungsverfahren, Dissertationen und Konferenzbeiträgen in den Jahren 1986 bis 2015 veröffentlicht wurden. Einige der Primärstudien berichten Effekte für mehrere unabhängige Stichproben, so dass Fan und Kollegen für die Analysen insgesamt 41 Effektstärken (in diesem Fall Korrelationen) heranziehen konnten.
Alle berücksichtigten Studien basieren auf großen Datensätzen mit korrelativen Studiendesigns mit oder ohne Randomisierung der StudienteilnehmerInnen – darunter sind auch Datensätze aus repräsentativen large-scale-Studien wie PISA oder TIMMS. Insgesamt waren an allen Primärstudien 312.836 SchülerInnen – überwiegend aus der Sekundarstufe – beteiligt. Um Faktoren zu identifizieren, die den Zusammenhang von Hausaufgaben und Schülerleistungen beeinflussen, führen die AutorInnen sogenannte Moderatoranalysen durch. Dabei prüfen sie den Einfluss von Fach (Mathematik oder Naturwissenschaften), verschiedenen Merkmalen von Hausaufgaben (vgl. Tabelle 1), Alter, geographischer Region, aber auch von methodischen Einflussfaktoren, zum Beispiel die Art und Weise, wie Schulleistung gemessen wurde.
Was findet diese Studie heraus?
Über alle Studien hinweg zeigt sich ein kleiner positiver Zusammenhang* zwischen Hausaufgaben und Schülerleistungen (r = 0.23). Der Zusammenhang ist in den Naturwissenschaften (r = 0.26; kleiner Zusammenhang) etwas größer als in Mathematik (r = 0.20; kleiner Zusammenhang). Einen tieferen Einblick geben die Befunde der Moderatoranalysen. Sie zeigen, dass der Zusammenhang deutlich von verschiedenen Merkmalen der Hausaufgaben beeinflusst wird (vgl. Tabelle 1).
Je höher die Qualität der Hausaufgaben ist – und tendenziell auch, je vollständiger sie erledigt werden –, desto größer ist der positive Zusammenhang mit Schulleistungen (r = 0.53; großer Zusammenhang;r = 0.69; großer Zusammenhang**). Wie viel Zeit SchülerInnen für Hausaufgaben aufwenden, hängt nur in geringem Maß mit ihrer Leistung zusammen (r = 0.19; kleiner Zusammenhang).
Tabelle 1. Merkmale von Hausaufgaben.
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* Eine Korrelation spiegelt den Zusammenhang zwischen zwei Merkmalen wider, zum Beispiel: Je höher die Motivation desto höher der Lernerfolg. Sie gibt keinen Aufschluss darüber, ob es einen kausalen Zusammenhang gibt. Theoretische Modelle gehen jedoch von der im Folgenden unterstellten Kausalrichtung und einer wechselseitigen Beeinflussung der beiden Variablen aus. Das hieße in diesem Fall, dass sich Hausaufgaben auf Schülerleistungen auswirken und Schülerleistungen wiederum einen Einfluss auf die Hausauf-gaben haben. Vor diesem theoretischen Hintergrund sind die Befunde einzuordnen.
** Die Korrelation zwischen Vollständigkeit der Hausaufgaben und Schülerleistungen ist nicht signifikant / belastbar. Der Befund basiert nur auf wenigen Korrelationen und sollte mit einer größeren Anzahl an zugrundeliegenden Korrelationen verifiziert werden.
*** n.s.= nicht signifikant: Das Konfidenzintervall des berichteten Effekts schließt die Null mit ein. Das bedeutet, dass der berichtete Effekt auch zufällig sein könnte und daher – nach gängigen Kriterien – nicht belastbar ist.
Wie bewertet das Clearing House Unterricht diese Studie?
Die Clearing House Unterricht Research Group bewertet die Metaanalyse anhand der folgenden fünf Fragen und orientiert sich dabei an den Abelson-Kriterien (1995):
Wie substanziell sind die Effekte?
Nach der üblichen Klassifikation nach Cohen (1988) sind die Zusammenhänge zwischen Hausaufgaben und Schülerleistungen in Mathematik und Naturwissenschaften als klein einzustufen. Es treten jedoch auch große Zusammenhänge auf, wenn die Hausaufgaben eine hohe Qualität aufweisen und vollständig erledigt werden. Dabei ist zu beachten, dass einige der berichteten Effekte nur auf wenigen Korrelationen beruhen und weitere Studien benötigt werden, um diese Befunde abzusichern. Die Ergebnisse einer früheren Metaanalyse, die ausschließlich Befunde aus den USA enthält, weisen in eine ähnliche Richtung. Die AutorInnen berichten für Mathematik einen kleinen Effekt für den Zusammenhang zwischen Zeitaufwand für Hausaufgaben und Leistung (Cooper, Robinson, & Patall, 2006: r = 0.24).
Wie differenziert sind die Ergebnisse dargestellt?
Die Differenziertheit der berichteten Effekte wird anhand der Bereiche Schulfächer, Jahrgangsstufen und des Erfolgskriteriums (z. B. Schulleistung) eingeschätzt. In der vorliegenden Metaanalyse werden die Ergebnisse nach Schulfächern – getrennt für Mathematik und Naturwissenschaften – berichtet. Auch nach Jahrgangsstufen wird differenziert: SchülerInnen an Grundschulen (r = 0.32) und in der Sekundarstufe II (r = 0.30) profitieren mehr von Hausaufgaben als SchülerInnen der Sekundarstufe I (r = 0.15). Für nicht leistungsbezogene Lernerfolgsmaße – wie Motivation – werden keine gesonderten Effektstärken berichtet.
Wie verallgemeinerbar sind die Befunde?
In der vorliegenden Metaanalyse wurden zahlreiche Moderationsanalysen durchgeführt. Dabei zeigt sich, dass die berichteten Effekte der Metaanalyse nicht homogen sind. Die Verallgemeinerbarkeit des Gesamteffekts wird folglich von verschiedenen Faktoren eingeschränkt:
1. Die gefundenen Effekte unterscheiden sich sowohl im Hinblick auf die beiden untersuchten Fächer als auch auf die unterschiedlichen Altersstufen.
2. Auch in Bezug auf die Merkmale von Hausaufgaben zeigen sich jeweils unterschiedlich große Zusammenhänge (siehe Tabelle 1), und
3. Die Zusammenhänge unterscheiden sich – je nachdem, aus welcher geographischen Region die Daten stammen: USA: r = 0.27 (31 Korrelationen); Europa: r = 0.07 (5 Korrelationen); Asien: r = 0.07 (5 Korrelationen).
In methodischer Hinsicht beeinflussen die Art der Publikation, die Art des Studiendesigns und die Art der Leistungsmessung die Effekte und schränken dadurch die Verallgemeinerbarkeit weiter ein. Beispielsweise sind mit unstandardisierten Testverfahren ermittelte Zusammenhänge höher (r = 0.38) als mit standardisierten Testverfahren ermittelte (r = 0.21). Aufgrund der vielen einflussreichen Moderatoren steht die Verallgemeinerbarkeit des Gesamteffekts in Frage. Die fachspezifischen bzw. altersgruppenspezifischen Zusammenhänge sind dementsprechend z. B. verlässlicher als der Gesamteffekt.
Was macht die Metaanalyse wissenschaftlich relevant?
Die Metaanalyse ist aus wissenschaftlicher Sicht bedeutsam. Sie aktualisiert und erweitert die Metaanalyse von Cooper und KollegInnen (2006), wobei sie bestimmte Aspekte vertieft: Sie berücksichtigt erstmals weltweite Befunde und liefert fächerspezifische Evidenz zum Zusammenhang zwischen Hausaufgaben und Schülerleistungen in Mathematik und Naturwissenschaften. Zudem ergibt sich aus der detaillierten Untersuchung vieler Einflussfaktoren, dass zu Hausaufgaben zukünftig noch kontextspezifischer (nach Altersgruppe, Fach oder Kulturraum) geforscht werden sollte.
Wie methodisch verlässlich sind die Befunde?
Die Offenlegung und Begründung des methodischen Vorgehens entspricht nahezu exemplarisch den Kriterien gängiger Anforderungskataloge (z. B. APA Meta-Analysis Reporting Standards). Die einzelnen Schritte des Erstellungsprozesses der Metaanalyse (Suche, Studienauswahl, Kodierung und statistische Analyse) sind transparent und nachvollziehbar beschrieben. Weitere Informationen zur Beurteilung des methodischen Vorgehens finden Sie in unserem Rating Sheet.
Fazit für die Unterrichtspraxis
Die Metaanalyse trägt Ergebnisse der letzten 30 Jahre zusammen, die auf Daten von zahlreichen SchülerInnen basieren. Sie schließt auch vier deutsche, qualitativ hochwertige Studien mit ein (siehe Studienbeispiel) – was nicht bei allen Metaanalysen der Fall ist – und berücksichtigt kulturelle Unterschiede. Daher sind die Ergebnisse grundsätzlich relevant für die Gestaltung der Hausaufgabenpraxis an deutschen Schulen. Allerdings zeigen die Ergebnisse der Studie deutlich, dass Hausaufgaben ein kulturspezifisches Phänomen sind, da auch der geographische Raum einen starken Einfluss auf die Stärke der Zusammenhänge hat. Dementsprechend können die berichteten Effekte für Deutschland nur Hinweischarakter haben, da keine expliziten Analysen für Deutschland durchgeführt wurden.
Insgesamt ergibt die Studie, dass der Zusammenhang von Hausaufgaben mit Leistungen klein ist bzw. im europäischen Raum gegen Null geht und von unterschiedlichen Faktoren wie den beleuchteten Merkmalen von Hausaufgaben beeinflusst wird. Grundsätzlich scheint es für Lehrpersonen aber möglich, den Nutzen von Hausaufgaben deutlich zu steigern, z. B. dadurch, dass sie SchülerInnen dazu motivieren, ihre Hausaufgaben möglichst gut und vollständig zu erledigen. Dies kann unterstützt werden durch Hausaufgabenkontrollen und wohlüberlegte und ansprechende Hausaufgabenstellung durch die Lehrperson.
Mit wie viel Zeitaufwand und wie häufig Hausaufgaben pro Woche bearbeitet werden, scheint – per se – keinen bedeutenden Einfluss auf die Schulleistungen zu haben. Hier scheint es einen Zusammenhang mit weiteren Faktoren – z. B. dem Leistungsniveau der SchülerInnen – zu geben, wie die Beispielstudie zeigt. Insgesamt sprechen die Ergebnisse dafür, dass Hausaufgaben nicht generell sinnvoll sind, sondern, dass es in der Praxis wichtig ist, genau abzuwägen, wann und wie sich der Einsatz von Hausaufgaben lohnt.
Studienbeispiel
Die Studie von Trautwein und Lüdtke (2007) aus Deutschland illustriert die Ergebnisse der Metaanalyse in Bezug auf die Bearbeitungszeit der Hausaufgaben und liefert darüber hinaus noch tiefergehende Einblicke dahingehend, wie die Wirksamkeit von Hausaufgaben gesteigert werden kann. Die Studie untersucht die Bearbeitungszeit und die Anstrengungsbereitschaft in Bezug auf Hausaufgaben von 511 deutschen SchülerInnen in den Jahrgangsstufen 8 und 9 in den Fächern Mathematik, Physik, Biologie, Deutsch, Englisch und Geschichte.
Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die Anstrengungsbereitschaft der SchülerInnen beim Bearbeiten der Hausaufgaben einen positiven Zusammenhang mit Schülerleistungen aufweist, der Zusammenhang zwischen der Bearbeitungszeit der Hausaufgaben und Schülerleistungen hingegen negativ ist. Letzteren Befund führen sie darauf zurück, dass längere Bearbeitungszeiten nicht nur ein Indikator dafür sind, dass sich SchülerInnen intensiver mit den Aufgaben beschäftigen, sondern oft auch daraus resultieren, dass schwächere SchülerInnen Schwierigkeiten beim Bearbeiten von Hausaufgaben haben.
Die Studie zeigt weiterhin, dass die Anstrengungsbereitschaft beim Bearbeiten der Hausaufgaben nicht nur von den jeweiligen SchülerInnen, sondern auch von den Rahmenbedingungen abhängt: SchülerInnen strengen sich dann an, wenn ihnen die Hausaufgaben interessant erscheinen und sie diese für gut vorbereitet halten, wenn sie davon ausgehen können, dass die Bearbeitung hilfreich für den Lernprozess ist und es ihnen gelingen wird, die Hausaufgaben gut zu lösen. Weitere Faktoren, die die Anstrengungsbereitschaft beim Bearbeiten der Hausaufgaben und damit indirekt Schülerleistungen positiv beeinflussen, sind die Hausaufgabenkontrolle durch Lehrpersonen, aber auch der Stellenwert, den die Eltern dem jeweiligen Schulfach beimessen.