Lernmaterialien können den Lernprozess besonders effektiv unterstützen, wenn bei der Entwicklung und Gestaltung einige Prinzipien beachtet werden. Dazu gehört, unnötige Belastung der Verarbeitungskapazität für die Lernenden zu vermeiden. Wenn Abbildungen und erklärende Texte sinnvoll verknüpft werden, kann das mit wenig Aufwand vermieden werden. In der Metaanalyse »Spatial Contiguity and Spatial Split-Attention Effects in Multimedia Learning Environments: a Meta-Analysis« tragen Schroeder & Cenkci (2018) die aktuellsten Befunde zusammen und zeigen, wie Abbildung und Text miteinander kombiniert werden können, damit möglichst lernförderliches Lernmaterial entsteht.
Metaanalyse im Überblick
Fokus der Studie: Wirksamkeit von integrierter Darstellung von Abbildung und Text in Lernmaterialien
Zielgruppe: Kindergartenkinder bis Studierende
Durchschnittliche Effektstärke: Mittelgroßer positiver Effekt der räumlichen Integration von Abbildung und erklärendem Text g = 0.63) im Vergleich zu getrennter Anordnung
Weitere Befunde: Besonders große Effekte bei Arbeitsblättern (g = 0.80), zweidimensionalen Abbildungen (g = 0.71) und wenn sich Informationen in Abbildung und Text ergänzen
(g = 0.72)
Einleitung
Abbildungen* sind – egal ob in Arbeitsblättern oder online, in digitalen Lernumgebungen, projizierten Folien oder bei Tafelanschriften – ein zentrales Element von Lernmaterialien. Sie helfen, Zusammenhänge zu veranschaulichen oder Lerngegenstände zu konkretisieren.
Doch in der Regel sind Abbildungen nicht selbsterklärend, sondern bedürfen zusätzlicher textlicher Erläuterung. Wenn Lernende zwei unterschiedliche Informationsquellen integrieren und verarbeiten müssen, entsteht kognitive Belastung. Im Rahmen der Theorie der kognitiven Belastung (engl. cognitive load theory) oder kognitiven Theorie des Multimedialernens wurde vielfach untersucht, unter welchen Bedingungen eine Kombination aus Abbildung und Text lernförderlich bzw. -hinderlich ist.
Mit folgendem Ergebnis: Sind zwei für das Verständnis zusammengehörende Informationen, z.B. Abbildung und erklärender Text, in der Darstellung getrennt bzw. an verschiedenen Stellen platziert, dann müssen Lernende ihre Aufmerksamkeit auf zwei verschiedene Punkte lenken. Dies hat negative Auswirkungen auf das Lernen und Verstehen der Inhalte.
Sind Abbildung und Text dagegen integriert dargestellt, also nahe beieinander angeordnet, hat dies einen positiven Effekt (spatial contiguity effect):
Die positive Wirkung der Integration von Abbildung und zugehörigem Text auf den Lernerfolg ist vielfach belegt. Die vorliegende Metaanalyse erweitert diesen Kenntnisstand, indem sie aktuelle Studien berücksichtigt und genauer analysiert, unter welchen Bedingungen die Integration von Abbildung und Text besonders effektiv funktioniert.
*Dazu gehören Bilder, Grafiken, Diagramme und weitere Visualisierungen von Informationen.
Worum geht es in dieser Studie?
In der vorliegenden Metaanalyse geht es um den Effekt, den die integrierte Anordnung von Abbildung und Text gegenüber getrennter Anordnung auf das Lernen und Verstehen der Inhalte hat. Sie aktualisiert ältere Metaanalysen (z.B. Ginns, 2006) und untersucht – ermöglicht durch die größere Zahl von verfügbaren Studien – unter welchen Bedingungen die Integration von Abbildung und Text den Lerneffekt wie beeinflusst.
Schröder und Cenkci können auf insgesamt 58 qualitativ hochwertige experimentelle Vergleiche von integrierter vs. getrennter Anordnung von Abbildung und Text zurückgreifen (21 mehr als in der Metaanalyse von Ginns, 2006). Die Studien stammen aus dem Zeitraum von 1989 bis 2017. Insgesamt waren 2.426 Lernende daran beteiligt. Der Lernerfolg wird in allen berücksichtigten Studien in Form von Wissenstests (Wiedergabe und/oder Transfer) überprüft.
Um die Nachhaltigkeit der Effekte mit zu erfassen, verwenden die AutorInnen bei der Berechnung der Effekte jeweils die Testdaten mit dem größtmöglichen zeitlichen Abstand zwischen Lernphase und Testung. Um zu überprüfen, unter welchen Bedingungen die integrierte Gestaltung von Abbildung und Text lernförderlich wirkt, erfassen die Autoren das Präsentationsmedium, die Art und Dynamik der Abbildung sowie die Redundanz des Lernmaterials, also inwiefern die Information in Abbildung und Text doppelt auftaucht (vgl. Tabelle 1).
Was findet diese Studie heraus?
Insgesamt lernen Lernende mit der integrierten Darstellung von Abbildung und Text mehr als mit getrennt dargestellten Informationen (g = 0.63). In den Moderatoranalysen stellen die AutorInnen fest, dass das Präsentationsmedium einen signifikanten Einfluss hat: Den größten Effekt hat die Integration bei Arbeitsblättern und in computerbasiertem Lernmaterial. Die Dynamik der Abbildung beeinflusst den Lernerfolg ebenfalls signifikant: Bei statischen Abbildungen, die nicht animiert oder interaktiv gestaltet sind, sind die Effekte der integrierten Darstellung am größten.
Auch die Redundanz der Inhalte in Abbildung und Text spielt eine Rolle: Wenn die Abbildung nur in Kombination mit dem Text verständlich ist oder wenn der Text auch gänzlich ohne Abbildung verständlich ist, zeigt sich der positive Effekt der integrierten Darstellung am deutlichsten. Für die Art der Abbildung dagegen konnte kein bedeutsamer Einfluss nachgewiesen werden. Weitere Details und Informationen zu den Moderatorvariablen sind in Tabelle 1 berichtet:
Tabelle 1. Stufen der Moderatoren und Ergebnisse der Moderatorenanalysen.
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* = signifikant
Wie bewertet das Clearing House Unterricht diese Studie?
Die Clearing House Unterricht Research Group bewertet die Metaanalyse anhand der folgenden fünf Fragen und orientiert sich dabei an den Abelson-Kriterien (1995):
Wie substanziell sind die Effekte?
Nach der gängigen Kategorisierung nach Cohen (1988) ist der Gesamteffekt der Metaanalyse von g = 0.63 als mittelgroß einzustufen (Basis: 58 Effekte). Damit fällt er etwas niedriger aus als in der letzten Metaanalyse zum Thema von Ginns: g = 0.72 (Basis: 37 Effekte). Der geringfügige Unterschied lässt sich durch die erweiterten technischen Möglichkeiten der Darstellung von Abbildungen und Text erklären. Dadurch entsteht eine größere Varianz. Bei der Integration von Abbildung und Text in Arbeitsblättern kann unter bestimmten Bedingungen ein großer Effekt von g = 0.80 erreicht werden. Dies bedeutet dann, dass knapp 80% der Lernenden, die mit optimiertem Lernmaterial arbeiten, einen höheren Lernerfolg erreichen als der Durchschnitt der Kontrollbedingung. Zusammenfassend ist der Effekt der Integration von Abbildung und Text – insbesondere gemessen am geringen Umsetzungsaufwand – als substanziell einzuordnen.
Wie differenziert sind die Ergebnisse dargestellt?
Die Ergebnisse werden nach verschiedenen Schulfächern und Altersgruppen differenziert. Bei den Schulfächern wird für Biologie/Geographie ein mittelgroßer Effekt, für Technik ein mittelgroßer Effekt und für Mathematik/Physik ein kleiner Effekt berichtet. Im Sekundarstufenbereich wird für die Klassen 6-8 ein kleiner und für die Klassen 9-12 ein großer Effekt berichtet. Als Erfolgskriterium wurde lediglich Lernerfolg in Form von Wiedergabe-, Transfer- und gemischten Tests untersucht. Motivationale Variablen beispielsweise wurden nicht systematisch erfasst.
Wie verallgemeinerbar sind die Befunde?
Die Metaanalyse untersucht zahlreiche Moderatoren, die die Verallgemeinerbarkeit des Gesamteffekts einschränken können. Für die Dauer der Intervention (Abstufungen zwischen unter fünf bis über 15 Minuten), unterschiedliche Ausrichtungen der Testung (Wiedergabe vs. Transfer), Gestaltung der Testaufgaben (offene Aufgaben, Multiple Choice-Aufgaben, Mischung aus beiden) und verschiedene Arten der Rekrutierung und Belohnung der Probanden konnten keine signifikanten Einflüsse nachgewiesen werden. Für unterschiedliche geographische Regionen (u.a. Europa: kleiner Effekt) und Altersgruppen (verschiedene Abstufungen von Kindergarten bis Studierende) jedoch schon. In diesem Fall sind die spezifischen Effektstärken aussagekräftiger als der Gesamteffekt.
Was macht die Metaanalyse wissenschaftlich relevant?
Die Metaanalyse ist aus verschiedenen Gründen als bedeutsam einzustufen. Sie stellt ein Update zu früheren Überblicksarbeiten dar und erweitert den bisherigen Forschungsstand, indem sie einen dezidierten Fokus auf die Bedingungen legt, die sich auf den Effekt der Integration von Abbildung und Text auswirken. Außerdem zeigt sie in ihrer systematischen Herangehensweise Forschungslücken auf. So liegen beispielsweise bestimmten Darstellungsvarianten bislang nur wenige Studien vor.
Wie methodisch verlässlich sind die Befunde?
Die Transparenz und Begründung des methodischen Vorgehens entspricht überwiegend den Kriterien gängiger Anforderungskataloge APA Meta-Analysis Reporting Standards). Die Angaben zur Suche, Kodierung und Analyse der Primärstudien erfüllen weitgehend alle Qualitätsstandards. Lediglich bei der Frage, wie die berücksichtigten Studien genau ausgewählt wurden, bleibt die Metaanalyse vage. Genauere Informationen zur Beurteilung des methodischen Vorgehens finden Sie in unserem Rating Sheet.
Fazit für die Unterrichtspraxis
In diesem Fall fällt das Fazit sehr eindeutig aus: Bei der Gestaltung von Lernmaterialien, in denen Abbildungen und erklärender Text kombiniert werden, gilt es, die beiden Informationsquellen möglichst sinnvoll nahe beieinander zu platzieren, d.h. integriert darzustellen (siehe Abb. 2). Die negativen Effekte von räumlich getrennten Materialien sind vielfach aufgezeigt und in unterschiedlichsten Kontexten bestätigt worden.
Die Mehrzahl der Befunde stammt aus experimentellen Laborstudien und nicht aus dem Klassenzimmer. Nichtsdestotrotz haben sie eine hohe Relevanz für die Unterrichtspraxis. Der zugrundeliegende Mechanismus der kognitiven Über- bzw. Entlastung der Verarbeitungskapazitäten von Lernenden beansprucht eine grundsätzliche Gültigkeit für effektives Lernen. Dieser Effekt ist besonders bei der Gestaltung von Arbeitsblättern mit zweidimensionalen Abbildungen zu beobachten. Wenn LehrerInnen also ein gezieltes Augenmerk darauf haben, dass sie Lernmaterialien entwickeln oder auswählen, in denen Abbildungen und dazugehörige Texte integriert angeordnet sind, dann können sie – bei sehr geringem Aufwand – das Lernen deutlich vereinfachen.
Studienbeispiel
Ein besonders großer Effekt (d = 0.97) für die integrierte Darstellung von Abbildung und Text im Vergleich zu getrennt dargestellten Informationen zeigt sich in der Studie von Tindall-Ford und KollegInnen (2015) für Lernmaterial zu Winkeln im Mathematik-Unterricht. Außerdem verdeutlicht die Studie den Mehrwert, der entsteht, wenn Lernende die Integration von Abbildung und Text selbst vornehmen. An der Studie im regulären Mathematikunterricht der siebten Klasse nahmen 48 SchülerInnen teil.
Nach einer kurzen Einführung der zentralen Konzepte wurden die Schülerinnen zufällig in eine von drei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe erhielt Lernmaterial mit getrennter Darstellung von Abbildung und Text, die zweite erhielt Material mit integrierter Darstellung (siehe Abb. 2), die dritte Gruppe konnte die Beschriftungstexte am Computerbildschirm selbst an die entsprechenden Stellen in der Abbildung setzen. Beim abschließenden Test schnitt die Gruppe mit der integrierten Darstellung am besten ab; wobei der Unterschied zur dritten Gruppe, die die Integration selbst geleistet hatte, unbedeutend war. Der Abstand dieser beiden zur Gruppe mit getrennter Darstellung von Abbildung und Text war hingegen groß und statistisch bedeutsam.