Forschendes Lernen kann gerade in den MINT-Fächern ein sehr effektiver Unterrichtsansatz sein – insbesondere dann, wenn die Lernenden dabei optimal unterstützt werden. Die Metaanalyse »Meta-analysis of inquiry-based learning: Effects of guidance« (Lazonder & Harmsen, 2016) untersucht, wie effektiv verschiedene Unterstützungsansätze für das Erreichen unterschiedlicher Lernziele (Qualität der Lernaktivitäten, Durchführungserfolg und Lernerfolg) sind.
Metaanalyse im Überblick
Fokus der Studie: Effektivität von unterschiedlichen Unterstützungsansätzen beim Forschenden Lernen im MINT-Unterricht
Zielgruppe: Lernende zwischen fünf und 22 Jahren unterschiedlicher Schularten und Länder
Durchschnittliche Effektstärke: Lernaktivitäten (d = 0.66) Durchführungserfolg (d = 0.71), und Lernerfolg (d = 0.50) können effektiv unterstützt werden
Weitere Befunde: Die verschiedenen Unterstützungsansätze unterscheiden sich in der Effektivität zumeist nicht signifikant voneinander
Einleitung
Dass Forschendes Lernen im Vergleich zu traditionellem MINT-Unterricht effektiver sein kann, hat die Unterrichtsforschung in den vergangenen Jahren wiederholt empirisch bekräftigt (siehe auch Kurzreview 1).
Die Wirksamkeit der Lehrmethode wird vor allem damit begründet, dass die aktive Beteiligung der Lernenden für den Lernerfolg ausschlaggebend ist. Selbst wie Forschende zu agieren – das heißt, Hypothesen aufzustellen, Experimente bzw. Recherchen durchzuführen, Ergebnisse zu interpretieren und zu diskutieren – ermöglicht SchülerInnen nicht nur, Wissen über Inhalte zu erlangen, sondern vor allem auch zu lernen und zu verstehen, wie wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung funktioniert.
Allerdings wurde häufig am Forschenden Lernen kritisiert, dass die SchülerInnen mit der Anwendung dieser Methode fast notwendigerweise überfordert seien, da der Ansatz die kognitive Verarbeitungskapazität der Lernenden überschreite. Seit einigen Jahren verlagert sich daher die wissenschaftliche Debatte weg von der Frage »Forschendes Lernen oder traditioneller Unterricht?« hin zu der Frage: »Unter welchen Umständen und Bedingungen können die Potenziale dieses Ansatzes optimal genutzt werden?«.
Die hier vorgestellte Metaanalyse fasst die bislang vorhandenen Primärstudien zu dieser Fragestellung zusammen und untersucht, mit welchen Maßnahmen Lehrkräfte die Lernprozesse besonders effektiv unterstützen können.
Worum geht es in dieser Studie?
Um zu ermitteln, wie effektiv zusätzliche Unterstützungsformate beim Forschenden Lernen sind, analysieren die AutorInnen der Metaanalyse sechs verschiedene Typen von Unterstützungsansätzen und deren Wirkung auf verschiedene Lernziele: Unterschieden wird die die Wirkung der Unterstützungsmaßnahmen auf die Kategorien
(1) Lernaktivitäten,
(2) Durchführungserfolg und
(3) Lernerfolg.
Damit erfassen die AutorInnen nicht nur das Endergebnis (Lernerfolg) sondern auch den Lernprozess selbst (Lernaktivitäten und Durchführungserfolg) und können so umfassend einschätzen, wie sich die Unterstützungsmaßnahmen jeweils auswirken.
Um als Studie in die Metaanalyse aufgenommen zu werden, mussten Messwerte zu mindestens einem der drei relevanten Lernziele vorliegen. In 20 Studien lagen Werte zu Lernaktivitäten vor. Hier wurden die Quantität und die Qualität der Aktivitäten (etwa wie gut und ausführlich ein Experiment geplant wurde) während des Lernens erfasst. 17 Studien ermittelten Werte zum Durchführungserfolg. Hier wurden absolvierte Zwischenschritte und dabei entstandene Produkte (zum Beispiel schriftliche Aufgabenbearbeitungen) analysiert. 60 Studien untersuchten den Lernerfolg von SchülerInnen. Hier wurde der Lernfortschritt bei der abschließenden Lernzielkontrolle erfasst. Zusätzlich differenzieren die AutorInnen sechs verschieden Typen von Unterstützungsansätzen.
Tabelle 1 bietet eine Übersicht über alle einbezogenen Ansätze, sortiert nach zunehmendem Spezifierungsgrad. Zusätzlich wollen die AutorInnen der Metaanalyse herausfinden, inwiefern Faktoren wie das Alter der SchülerInnen, die Dauer der Unterrichtseinheit oder methodische Faktoren (Studiendesign, Publikationsqualität oder Art der Erfassung der Lernziele) Unterschiede in den Effektstärken der verschiedenen Studien erklären können.
Tabelle 1. Untersuchte Typen von Unterstützungsansätzen und Erklärungen.
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In diese Metaanalyse gehen die Befunde aus 72 Primärstudien ein, die im Zeitraum zwischen 1993 und 2013 veröffentlicht wurden. Alle Primärstudien vergleichen SchülerInnen beim Forschenden Lernen, die ein spezifisches Unterstützungsangebot erhalten, mit SchülerInnen, die dieses Angebot nicht erhalten. Auf diese Weise lässt sich die Effektivität des jeweiligen Angebots bestimmen. Die Vergleiche wurden mithilfe experimenteller und quasi-experimenteller Studiendesigns angestellt. An den Studien nahmen SchülerInnen aus Grund- und weiterführenden Schulen in den MINT-Fächern teil (Alter: fünf bis 22 Jahre).
Was findet diese Studie heraus?
Tabelle 2 zeigt eine Übersicht über die Effektstärken der einzelnen Unterstützungsansätze, sortiert nach Lernzielkategorien. Die Metaanalyse kommt zu dem Ergebnis, dass SchülerInnen bessere Ergebnisse in den Lernaktivitäten zeigen, wenn sie dabei von der Lehrperson unterstützt werden (d = 0.66). Zwar unterscheiden sich die Befunde dahingehend, welche Art der Unterstützung (z.B. Einschränkungen (d = 0.90), Scaffolds (d = 0.77) oder Erklärungen (d = 0.70)) untersucht wird. Jedoch sind diese Unterschiede nicht signifikant.
Für den Durchführungserfolg zeigt sich ebenfalls ein positiver Effekt (d = 0.71). Insbesondere zusätzliche Erklärungen (d = 1.45) und Heuristiken (d = 1.17) haben hier eine deutliche und signifikant bessere Wirkung auf SchülerInnen als die anderen Unterstützungsansätze. Jedoch wurden diese beiden Ansätze jeweils nur in einer Studie untersucht; die Effekte sind deshalb nicht ausreichend gesichert.
Zuletzt ergibt sich für den Lernerfolg insgesamt ein positiver Effekt für Unterstützungsansätze (d = 0.50). Wie bei den Lernaktivitäten unterscheiden sich zwar die Effektstärken je nach Ansatz (z.B. Erklärungen (d = 0.61), Hinweise (d = 0.55) oder Einschränkungen (d = 0.52)), allerdings sind diese Unterschiede wie auch bei den Lernaktivitäten nicht signifikant. Ein nicht signifikantes Ergebnis bedeutet in diesem Zusammenhang, dass nicht sicher genug ausgeschlossen werden kann, dass die Unterschiede in den Effektstärken durch zufällige Faktoren entstanden sind (Irrtumswahrscheinlicheit 95 %).
Tabelle 2. Unterstützungsansätze mit den größten Effekten auf die verschiedenen Lernerfolgsmaße.
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Bei der genaueren Analyse der Lernzielkategorie Lernerfolg zeigt sich zudem, dass Lernzielkontrollen, die sich mehr auf Forschungsfertigkeiten fokussieren, größere Effekte erzielen (d = 0.78), als Kontrollen, in denen rein inhaltliches Fachwissen abgefragt wird (d = 0.37, nicht in der Tabelle dargestellt). Zusätzliche Moderatoranalysen der Metaanalyse machen deutlich, dass die Wirkung der Unterstützungsmaßnahmen auf die unterschiedlichen Lernziele unabhängig ist von der Dauer der Unterrichtseinheit, dem Alter der SchülerInnen und weitgehend auch von methodischen Faktoren (z.B. dem Studiendesign).
Wie bewertet das Clearing House Unterricht diese Studie?
Die Clearing House Unterricht Research Group bewertet die Metaanalyse anhand der folgenden fünf Fragen und orientiert sich dabei an den Abelson-Kriterien (1995):
Wie substanziell sind die Effekte?
Der Einteilung nach Cohen (1988) folgend, liegen die Effekte in dieser Metaanalyse vorwiegend im mittleren Bereich. Damit schneiden SchülerInnen in den drei Bereichen (Lernaktivitäten, Durchführungserfolg, Lernerfolg) substanziell besser ab als in der Vergleichsbedingung.
Diese mittleren Effektstärken sind insbesondere deshalb bemerkenswert, da als Vergleichsbedingung (Kontrollgruppe) andere Unterrichtsformen herangezogen wurden und nicht etwa keine Aktivität oder unangeleitete Stillarbeit. Eine mittlere Effektstärke von d = 0.50 (Lernerfolg) bedeutet beispielsweise, dass rund zwei Drittel der SchülerInnen im Rahmen des Forschenden Lernens einen größeren Lernerfolg erzielen als der Durchschnitt der VergleichsschülerInnen.
Gerade hinsichtlich des Lernerfolgs können insbesondere die Forschungsfertigkeiten (inquiry skills) der SchülerInnen durch Untersützungsangebote signifikant besser gefördert werden (d = 0.78) als naturwissenschaflich-mathematisches Fachwissen (d = 0.37).
Wie differenziert sind die Ergebnisse dargestellt?
Die Differenziertheit der berichteten Effekte wird von der Clearing House Research Group anhand der Schulfächer, Jahrgangsstufen und des Erfolgskriteriums eingeschätzt. In der Metaanalyse sind die Ergebnisse hinsichtlich des Erfolgskriteriums ausführlich dargestellt: Für Lernaktivitäten, Durchführungserfolg und Lernerfolg werden jeweils gesonderte Effektstärken angegeben. Zusätzlich werden – abhängig von der Verfügbarkeit von Primärstudien – Effekte für Schulfächer (Mathematik vs. Naturwissenschaften), Art des Lernerfolgs (Fähigkeiten im Forschenden Lernen vs. Fachwissen) oder Dauer (eine vs. mehrere Lerneinheiten) differenziert berichtet.
Die geplante Differenzierung nach Jahrgangsstufen konnte nur indirekt realisiert werden, da insgesamt zu wenige Primärstudien vorhanden waren. Durch den feinen Auflösungsgrad der Lernziele und der zusätzlichen Unterstützungsansätze lässt die Metaanalyse konkrete Schlussfolgerungen darüber zu, welche Maßnahme beim Forschenden Lernen für welches Lernziel unter welchen Bedingungen besonders geeignet ist.
Wie verallgemeinerbar sind die Befunde?
Die Metaanalyse testet mithilfe von Moderatoranalysen gesondert für alle drei Lernziele, inwiefern die Befunde verallgemeinerbar sind. Dabei untersuchen die AutorInnen, inwiefern die verschiedenen Unterstützungsansätze, die jeweilige Dauer des Einsatzes, das Alter der SchülerInnen oder methodische Merkmale der Studien sich signifikant auf die Größe des Effekts auswirken. Dass manche Unterstützungsansätze effektiver sind als andere, dafür enthalten die Befunde vereinzelt Hinweise, die Unterschiede sind jedoch in den meisten Fällen nicht signifikant oder beruhen auf nur wenigen Studien. Auch für die Altersgruppen oder methodischen Merkmale der Studien ergeben sich keine konsistenten Einschränkungen für die Verallgemeinerbarkeit. Hervorzuheben ist, dass die Effekte über alle Kategorien hinweg ausschließlich positiv ausfallen.
Die Überlegenheit des unterstützten Forschenden Lernens ist damit auf der Basis der einbezogenen Primärstudien für alle diese Dimensionen ein deutlicher Trend und weitgehend verallgemeinerbar.
Was macht die Metaanalyse wissenschaftlich relevant?
Der besondere Beitrag dieser Metaanalyse liegt in der differenzierten Betrachtung verschiedener Unterstützungsansätze und deren Effekte auf unterschiedliche Lernziele (Lernaktivitäten, Durchführungserfolg und Lernerfolg). Dadurch wird deutlich, unter welchen Bedingungen die Wirksamkeit von Forschendem Lernen als Unterrichtsansatz besonders zum Tragen kommt. Gleichzeitig wirft das Vorgehen, einzelne Ansätze isoliert zu betrachten, die Frage auf, wie sich die Ansätze auswirken, wenn sie miteinander kombiniert werden. Die AutorInnen weisen darauf hin, dass die Kombination von mehreren Ansätzen bisher kaum untersucht wurde, jedoch für die zukünftige Forschung von besonderer Bedeutung ist.
Wie methodisch verlässlich sind die Befunde?
Die Clearing House Research Group beurteilt die methodische Verlässlichkeit auf Grundlage eines Ratingsystems (basierend auf u.a. APA Meta-Analysis Reporting Standards). Transparenz und Begründung des methodischen Vorgehens entsprechen größtenteils den Kriterien der Anforderungskataloge: Das Vorgehen bei der Recherche nach relevanten Studien, der Studienauswahl, der Kodierung sowie der statistischen Analyse ist weitgehend offengelegt und gut nachvollziehbar beschrieben. Weitere Informationen zur Beurteilung des methodischen Vorgehens finden Sie in unserem Rating Sheet.
Fazit für die Unterrichtspraxis
Alle in der Metaanalyse berücksichtigten Studien wurden mit SchülerInnen im Unterricht oder in unterrichtsnahen Bedingungen durchgeführt. Die berichteten Ergebnisse sind folglich relevant für eine effektive Unterrichtspraxis. Insgesamt wird deutlich, dass der Unterstützung beim Forschenden Lernen eine bedeutende Rolle zukommt.
Unabhängig davon, welchen Unterstützungsansatz die Lehrperson wählt, zeigen SchülerInnen bessere Lernaktivitäten, sie weisen während des Lernens bessere Durchführungserfolge auf und erzielen insgesamt bessere Lernergebnisse (siehe Studienbeispiel).
Insbesondere lernen sie auch besser zu verstehen, wie wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung funktioniert. Entscheidend für die effektive Umsetzung ist also, dass die Lehrkraft ihre SchülerInnen adäquat unterstützt, wenn sie im MINT-Unterricht wie Forschende handeln. Adäquat meint dabei nicht zwangsläufig detailliert: Ein kurzer Hinweis zur rechten Zeit ist oft mindestens genauso lernförderlich wie eine ausführliche Erklärung.
Studienbeispiel
In ihrer experimentellen Studie von 2008 untersuchten Zohar und Ben David die Schülerleistungen beim Forschenden Lernen im Fach Biologie. 199 Achtklässler in sechs Klassen wurden dabei über einen Zeitraum von 12 Unterrichtseinheiten zum Themenkomplex »Fortpflanzung« unterrichtet. Die Studie stellte einen besonders großen Effekt von zusätzlichen Erklärungen auf verschiedene Lernziele fest.
Alle SchülerInnen beschäftigten sich mit zwei Simulationen zu den Themen »Samenkeimung« und »Meerschweinchen« am Computer. Weitere Themen bearbeiteten die SchülerInnen ohne Computersimulation. Die Lehrkräfte waren angehalten, die Aufmerksamkeit der SchülerInnen in der Experimentalgruppe durch gezieltes Nachfragen und entsprechende Erklärungen auf wesentliche Aspekte ihrer Experimente zu lenken.
Beide Gruppen erzielten substanzielle Lernerfolge durch Forschendes Lernen. Die gezielten und an das jeweilige individuelle Problem der Lernenden angepassten Nachfragen und Erklärungen der Lehrkräfte bewirkten jedoch zusätzlich einen großen positiven Effekt sowohl mit Blick auf das Wissen über Fortpflanzung als auch auf die Forschungsfertigkeiten der SchülerInnen. Insbesondere leistungsschwächere SchülerInnen profitierten von der zusätzlichen Unterstützung.