Digitale Spiele erobern zunehmend den Bildungsmarkt. Solche »serious games« sind aus lerntheoretischer Sicht vielversprechend, um Lernen auf verschiedenen Ebenen zu unterstützen. Wouters und Kollegen (2013) testen deshalb mit ihrer Metaanalyse »A meta-analysis of the cognitive and motivational effects of serious games«, ob digitale Spiele lernförderlicher und motivierender sind als reguläre Lernangebote zu denselben Inhalten.
Metaanalyse im Überblick
Fokus der Studie: Kognitive und motivationale Effekte digitaler Spiele im Vergleich zu regulären Lernangeboten
Zielgruppe: 5.547 SchülerInnen und Studierende
Durchschnittliche Effektstärke: Digitale Spiele fördern den Lernerfolg signifikant besser als reguläre Lernangebote (kleine Effektstärke)
Keine signifikanten Unterschiede zwischen digitalen Spielen und regulären Lernangeboten im Bereich der Motivation
Weitere Befunde: Aspekte der Spielgestaltung und Implementation beeinflussen die Wirksamkeit
Einleitung
Ob Lernende nun auf Abenteuermission in einer virtuellen 3D-Welt unterwegs sind und dabei Mathematikaufgaben lösen oder zum selben Thema eine Textaufgabe aus dem Lehrbuch rechnen, macht zumindest auf den ersten Blick einen großen Unterschied. Von diesen augenfälligen Unterschieden einmal abgesehen, stellt sich jedoch die Frage, ob SchülerInnen wie Studierende auf die eine oder die andere Art besser lernen und ob nicht Vieles dafürspricht, dass Lernen mit digitalen Spielen motivierender ist.
Digitale Spiele oder »serious games« sind interaktiv, geben zu jeder Aktion Feedback und sind bisweilen sehr realitätsnah gestaltet. LernforscherInnen vermuten daher, dass sie Lernende zu einer tiefergehenden Verarbeitung von Inhalten animieren und dass diese das erworbene Wissen länger behalten und leichter anwenden können. Dank verschiedener Schwierigkeitslevel passt sich das Spiel so an die Fähigkeiten der Spielenden an, dass diese einerseits optimal herausgefordert werden und andererseits viele Freiheiten haben, zu entscheiden, wie sie die Herausforderung angehen. Beide Aspekte sind aus theoretischer Sicht entscheidend dafür, dass sich Motivation bestmöglich entwickeln kann.
Die Metaanalyse von Wouters und Kollegen klärt nun, ob digitale Spiele tatsächlich zu besserem Lernerfolg führen sowie mehr zur Motivation von Lernenden beitragen und ob sie darin konventionellen Instruktionsmaßnahmen wie Vorlesungen, Übungen und lehrerzentriertem Unterricht möglicherweise überlegen sind.
Worum geht es in dieser Studie?
Die umfassende Metaanalyse untersucht die Lerneffekte unterschiedlicher digitaler Spiele – vom virtuellen Puzzle bis hin zum Abenteuerspiel – im Vergleich zu verschiedenen regulären Lernangeboten zum selben Lerninhalt. Dabei analysieren die Autoren die Effekte zunächst in Bezug auf den Lernerfolg: Darunter fassen sie sowohl den Wissenserwerb als auch kognitive Fertigkeiten wie beispielweise die Fähigkeit, fachbezogene Probleme zu lösen. Darüber hinaus wurde in manchen Primärstudien auch die Behaltensleistung erfasst. Damit ist der Anteil des erworbenen Wissens gemeint, den Lernende längerfristig (im Abstand von mindestens einer Woche nach der Intervention) behalten können. Dies erlaubt den Autoren zu untersuchen, wie nachhaltig Lernen mit digitalen Spielen ist. Neben diesen kognitiven Maßen untersucht die Metaanalyse zum anderen auch, inwiefern Lernen mit digitalen Spielen die Motivation von Lernenden besser fördert als reguläre Lernangebote ohne Spiel.
Für die Metaanalyse konnten die Autoren im Rahmen ihrer Suche 39 Primärstudien identifizieren. Diese Studien sind im Zeitraum von 1990 bis 2012 erschienen (die Hälfte davon nach 2007) und beinhalten insgesamt 77 experimentelle bzw. quasi-experimentelle Vergleiche. Die Mehrzahl der Studien wurde im Fachbereich der Biologie oder Mathematik durchgeführt. Untersucht wurden SchülerInnen aus Grund- und weiterführenden Schulen sowie Studierende.
Die Autoren nehmen an, dass der Effekt von digitalen Spielen auf Lernerfolg bzw. Motivation nicht immer gleich groß bzw. konstant ist, sondern in Abhängigkeit von verschiedenen Bedingungen variiert. Inwiefern die jeweiligen Bedingungen die Wirksamkeit beeinflussen, untersuchen sie mithilfe von sogenannten Moderationsanalysen für folgende drei Bereiche:
- Aspekte der Implementation. Kombination des Spiels mit weiteren Lernaktivitäten, Anzahl der Spielsessions, Spielerzahl, Fachbereich, Alter der Spielenden
- Spielgestaltung. Narrativer Rahmen, graphische Gestaltung
- Methodische Aspekte. Publikationsquelle, Randomisierung der StudienteilnehmerInnen, Erhebungsdesign (Prä-Post-Vergleich oder nur Posttest)
Die Moderationseffekte werden getrennt für Lernerfolg (Wissen und kognitive Fertigkeiten) und Motivation berechnet. Für die Behaltensleistung konnten keine Moderationsanalysen durchgeführt werden, da die Zahl der Studien, die Behaltensleistung messen, für diese Art der Analyse nicht ausreichend war.
Was findet diese Studie heraus?
Insgesamt zeigt die Metaanalyse (siehe Tabelle 1), dass digitale Spiele den Lernerfolg (Wissen und Fertigkeiten) signifikant effektiver fördern als reguläre Lernangebote (kleine Effektstärke). Dieser Vorteil bleibt auch dann erhalten, wenn Lernende später auf das Behalten des Gelernten hin geprüft werden (kleine Effektstärke). Im Bereich der Motivation deutet der Effekt in eine ähnliche Richtung, wird allerdings nicht signifikant. Somit liefert die Metaanalyse keinen ausreichenden Beleg dafür, dass Lernen mit digitalen Spielen motivierender ist als Lernen ohne digitale Spiele.
Tabelle 1. Übersicht Gesamteffekte.
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*signifikanter Effekt mit 5% Irrtumswahrscheinlichkeit; **signifikanter Effekt mit 1% Irrtumswahrscheinlichkeit; *** signifikanter Effekt mit 0.1% Irrtumswahrscheinlichkeit.
Tabelle 2 bietet eine detaillierte Übersicht über die Ergebnisse der Moderatoranalysen, getrennt nach Lernerfolg und Motivation. Gezeigt wird in jeder Zeile die Anzahl der experimentellen Vergleiche, die in die jeweilige Analyse eingegangen sind und die daraus resultierende Effektstärke (d). Alle positiven Effektstärken bedeuten, dass das spielbasierte Angebot in den betreffenden Vergleichen zu höheren Werten führt, als das konventionelle Alternativangebot. Allerdings sind nicht alle positiven Effektstärken signifikant. In diesen Fällen ist nicht geklärt, ob digitale Spiele tatsächlich effektiver sind, da der Befund statistisch nicht ausreichend abgesichert ist.
Aus Tabelle 2 geht hervor, dass digitale Spiele lernförderlicher sind, wenn sie mit weiteren Lernaktivitäten kombiniert werden. Darunter fallen Lernaktivitäten wie das Erarbeiten grundlegender Inhalte oder Reflexionen nach der Spielphase. Außerdem sind digitale Spiele unter der Bedingung effektiver, dass sie über mehrere Sessions und/oder in der Gruppe gespielt werden. Effektivere Spiele verfügen über einfache schematische Graphiken anstelle von aufwändigen Darstellungsformaten. In sprachlichen Fächern – weniger im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich – sind digitale Spiele effektiver für den Lernerfolg.
Auf methodischer Seite erweisen sich digitale Spiele nur in denjenigen Studien als lernförderlicher, die in Zeitschriften mit Peer-Review-Verfahren veröffentlicht wurden und über keine Randomisierung in der Zuteilung der Spielenden verfügen. Im Bereich der Motivation zeigen sich dagegen kaum signifikante Befunde.
Tabelle 1. Übersicht Moderationsffekte.
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Mit Stern(en) markierte Befunde sind statistisch signifikant. Es gelten folgende Signifikanzniveaus: *** p < .001; ** p < .01; * p < .05.
Wie bewertet das Clearing House Unterricht diese Studie?
Die Clearing House Unterricht Research Group bewertet die Metaanalyse anhand der folgenden fünf Fragen und orientiert sich dabei an den Abelson-Kriterien (1995):
Wie substanziell sind die Effekte?
Nach der Kategorisierung durch Cohen (1988) sind die Gesamteffekte als klein zu werten; mit Ausnahme der Effekte im Bereich der Motivation sind jedoch alle signifikant. Bemerkenswert erscheint vor allem der Befund, dass mithilfe digitaler Spiele eine höhere Behaltensleistung erreicht werden kann, was für die Nachhaltigkeit solcher Angebote spricht. Die Größe dieses Effekts (d = 0.36) zeigt an, dass ca. 64 % der Lernenden mit digitalen Spielen eine höhere Behaltensleistung aufweisen als der Durchschnitt (Mittelwert) der Lernenden in regulären Lernangeboten. Außerdem weisen die Ergebnisse darauf hin, dass Lerneffekte durch die Wahl bestimmter Spiele (z.B. mit schematischer Graphik) oder bestimmter Formen der Implementation (z.B. mehrere Spielsessions) potenziell vergrößert werden können.
Kritisch ist der Befund zu werten, dass bei strengeren randomisierten Studiendesigns (betrifft knapp die Hälfte der experimentellen Vergleiche) signifikante Effekte beim Lernerfolg ausbleiben. Dieser Sachverhalt ist in der empirischen Bildungsforschung verbreitet und wird derzeit genauer untersucht (siehe Cheung & Slavin, 2016).
Hinsichtlich der motivationalen Befunde deuten die Autoren an, dass ausbleibende signifikante Effekte womöglich durch die Wahl des Messverfahrens erklärt werden können. Bis auf eine Ausnahme verwenden alle Studien Selbsteinschätzungen der SchülerInnen, erhoben durch Fragebögen nach dem Spiel. Eine Studie (Annetta et al., 2009) kann jedoch auf objektivere Beobachtungsdaten während des Spiels zurückgreifen und stellt einen großen signifikanten Motivationseffekt zugunsten digitaler Spiele fest.
Wie differenziert sind die Ergebnisse dargestellt?
Die Differenziertheit der Darstellung beurteilt die Clearing House Unterricht Research Group im Hinblick auf verschiedene Fachbereiche (Biologie, Mathematik, Sprachen, etc.), verschiedene Altersstufen (vier verschiedene Altersstufen) und verschiedene Erfolgskriterien (Lernerfolg, Behaltensleistung und Motivation). In allen drei Bereichen bietet die Studie ein hohes Maß an Differenzierung.
Wie verallgemeinerbar sind die Befunde?
Beim Lernerfolg zeigen sich durchwegs substanzielle Unterschiede in den Effekten, je nachdem wie die einzelnen Moderatorvariablen ausgeprägt sind (z.B. in welchem Fach die Angebote stattfanden). Das Alter und das Studiendesign (Erhebungsplan) stellen die beiden Ausnahmen dar: Für den Effekt macht es keinen substantiellen Unterschied, wie alt die TeilnehmerInnen der Studien waren oder wann erhoben wurde. Dadurch, dass die Befunde jedoch in den meisten Fällen in Abhängigkeit der verschiedenen Bedingungen variieren, sind sie nicht im Sinne eines einheitlichen Gesamteffektes generalisierbar, sondern bestimmte Bedingungen müssen berücksichtigt werden. Bis auf wenige Ausnahmen fallen die Effekte positiv, das heißt, zugunsten digitaler Spiele aus. Das bedeutet, dass – auch wenn die Stärke der Effekte variiert – der Trend gilt, dass digitale Spiele bezüglich des Lernerfolgs regulären Lernangeboten überlegen sind.
Was macht die Metaanalyse wissenschaftlich relevant?
Die vorliegende Studie stellt eine Aktualisierung bisheriger Metaanalysen zu Effekten von digitalen Spielen dar (siehe Sitzmann, 2011, oder Vogel et al., 2006). Die Befunde verhalten sich zu den vorhergehenden Befunden weitgehend konsistent, da sich gerade die positiven Effekte hinsichtlich der Förderung von Lernerfolg bestätigen. Der ausbleibende Effekt im Bereich der Motivation entspricht allerdings weder den Erwartungen der Autoren noch den Befunden aus bisherigen Metaanalysen (siehe oben). Neben Effekten der Messung (siehe oben) nehmen die Autoren an, dass die Autonomie der Spielenden durch die engen Vorgaben im Unterricht reduziert ist, der Spielflow durch instruktionale Elemente gestört wird und sich dadurch das motivationale Potenzial von Spielen nicht entfalten kann.
Wie methodisch verlässlich sind die Befunde?
Die Offenlegung und Begründung des methodischen Vorgehens entspricht überwiegend den Kriterien gängiger Anforderungskataloge (z.B. APA Meta-Analysis Reporting Standards). Die Schritte bei der Suche, der Auswahl und der Kodierung der Primärstudien und der statistischen Analyse sind weitgehend transparent durchgeführt und dargestellt.
Eine detaillierte Übersicht zur Beurteilung des methodischen Vorgehens finden Sie in unserem Rating Sheet.
Fazit für die Unterrichtspraxis
Die Metaanalyse zeigt, dass eine große Bandbreite an unterschiedlichen digitalen Spielen für verschiedene Unterrichtsfächer zur Verfügung steht und dass deren Wirksamkeit zunehmend auch durch Studien im Schulunterricht untersucht wird. Die Befunde der Metaanalyse gehen in zwei Richtungen:
- Zum einen scheinen digitale Spiele im spezifischen Kontext von Schule und Unterricht ihren besonderen motivationalen Appeal nicht entfalten zu können.
- Zum anderen bestätigten sich die Befunde bisheriger Metaanalysen, dass digitale Spiele den Lernerfolg von SchülerInnen effektiver und nachhaltiger unterstützen als reguläre Lernangebote.
Aktuelle Lerntheorien stellen besonders die kognitive Aktivierung und damit die gezielte und tiefergehende Beschäftigung mit dem Lerninhalt als entscheidend für den Lernerfolg heraus. Im Lichte dieses Wissens erscheinen die Befunde der Metaanalyse sehr plausibel: Ein stärkerer Fokus auf den Inhalt durch einfachere Graphiken und eine tiefergehende Aktivierung durch das gemeinsame Lernen mit anderen Spielenden, mehrere Spielsessions und zusätzliche Lernangebote helfen, das vermutete Lernpotenzial von digitalen Spielen tatsächlich zu realisieren. Gerade der letztgenannte Aspekt – die Kombination mit weiteren Lernangeboten – spricht dafür, dass Spiele kompatibel mit anderen Unterrichtsaktivitäten und gut in den Unterricht integrierbar sind (siehe Studienbeispiel).
Der weiterführenden Frage, wie Lernende beim spielbasierten Lernen effektiv unterstützt werden können, widmet sich eine komplementäre Metaanalyse von Wouters und van Oostendorp (2013) (siehe Kurzreview 2).
Studienbeispiel
Die Studie von Kebritchi und KollegInnen (2010) untersucht Effekte auf Lernerfolg und Motivation beim Einsatz digitaler Spiele im Mathematikunterricht. An der Studie nahmen 193 SchülerInnen aus zehn Klassen der 9. und 10. Jahrgangsstufe teil. Die Schulklassen wurden dem Zufall nach einer Experimental- oder einer Kontrollbedingung zugeordnet.
Die Lehrkräfte der Experimentalgruppe erhielten vorstrukturierte Unterrichtsstunden und -materialien, die digitale Spielangebote in den Algebraunterricht integrieren. Zum Einsatz kamen verschiedene Abenteuerspiele (Multiplayer) mit realistischer 3D-Graphik (siehe www.dimensionu.com). Die Spielenden müssen dort virtuelle Missionen erfüllen und dabei verschiedene Aufgaben aus dem Bereich der Algebra lösen. Das Experiment verlief über 18 Wochen und umfasste jeweils zwei Mathematikstunden pro Woche. Innerhalb dieser zwei Stunden verbrachte die Experimentalgruppe eine halbe Stunde mit dem Spiel, während die Kontrollgruppe regulären Unterricht hatte.
Alle SchülerInnen bearbeiteten vor und nach den 18 Wochen jeweils einen standardisierten Kompetenztest und einen Motivationsfragebogen. Zwar schnitten die SchülerInnen in beiden Bedingungen bezüglich des Lernerfolgs nachher besser ab als vorher, jedoch war der Zugewinn in der Experimentalgruppe größer (d = 0.27; kleine Effektstärke) als in der Kontrollgruppe. Im Bereich der Motivation ergaben sich keine Unterschiede zwischen den Gruppen.